Der Verfall der Demokratie schreitet in einer Geschwindigkeit voran, die wohl kaum einer – noch vor drei Jahren – für möglich gehalten hätte. Mit diesem Verfall geht der Verfall des Journalismus, als vierte Instanz einer Demokratie, einher. Ein trauriges Beispiel ist der jüngste Fauxpas der deutschen Außenministerin. Kaum hatte sie öffentlich ausgesprochen „egal was meine deutschen Wähler denken“, schon standen Faktenfüchse, -finder und -checker für eine Schadensbegrenzung bereit. Und während ich die unterschiedlichen Aussagen zu diesem Vorfall durchsehe, fühle ich mich an Trash TV und Social Media Blasen erinnert. Wer hier unter Beschuss gerät, wegen seines bloßgestellten „Fehlverhaltens“, betont stets, dass die Aussagen aus dem Kontext gerissen wurden, dass das ganze Szenario unvorteilhaft und vor allem schlecht geschnitten wurde. In der Politik übernehmen diese Aufgabe allerdings die Hofberichterstatter Deutschlands.

So zeigen es auch die vorliegenden Interpretationen im Falle Baerbock. Einig ist man sich darin, dass Russland die Schuld trägt und den Vorfall als Teil einer Disinformationskampagne in den Medien verbreite. Die Adjektive „prorussisch“, „kremlnah“ und kremlfreundlich“ ziehen sich jedenfalls durch alle Berichte. Nordbayern.de erwähnt zumindest, dass das Zitat der Außenministerin dennoch „unglücklich“ sei. (1) Während die tagesschau bereits auf das Futter hinweist, dass der rechtsradikalen Gemeinde von Russland beschert wird: „Im rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Milieu wurde der Vorwurf an Baerbock dankend angenommen und verbreitet.“ (2) Im weiteren beginnt ein logik- und sinnfreier Tanz um Erklärungen und Entschuldigungen zugunsten der hippen Anna-Lena Baerbock. Vielleicht sollten unsere Qualitätsmedien dann besser die gleiche Taktik verwenden, wie die amerikanischen, nämlich in den „wichtigen Punkten“ exakt die gleichen Textpassagen zu präsentieren?

Einig ist man sich also, dass Russland sämtliche Schuld in Bezug auf eine Aussage der deutschen Außenministerin trägt – dass nämlich prorussische Medien das Zitat verfälschten und so verbreiteten. Allerdings ist bei BR24 am 1. September zu lesen: „Der Artikel der „Welt“ verbreitete das Zitat zunächst mit einem falschen Zitatausschnitt, korrigiert das Zitat aber einige Stunden später.“ (3) Auch die tagesschau weist auf den Fehler der Welt hin: „„So titelte beispielsweise die „Welt“ zunächst eine verzerrte Version des Zitats. Zu dem Zeitpunkt, als sie die Schlagzeile korrigierten, hatte sich diese schon verbreitet und wurde in rechten Kreisen als seriöse Quelle zur Bestätigung der Vorwürfe an Baerbock genutzt„. Natürlich wurde die „Welt“ deswegen nicht bezichtigt kreml-nah zu sein. Sie hat sich ja auch korrigiert. Da sind Fehler erlaubt und nicht Teil einer Kampagne. Auch das allerdings muss kritsch gesehen werden. Journalisten, die in solchen Fällen nicht die Originalquelle sichten, müssen sich fragen lassen, wo ihre journalistische Sorgfalt geblieben ist. Kurzum – einem Medium, wie der Welt, dürften solche Fehler nicht passieren!

Nun wird dem Leser, der sich an der „Welt“ als seriöser Quelle bedient, der Vorwurf gemacht, er würde das Gelesene verbreiten – natürlich nur in rechten Kreisen. Eine Interpretation, die ihresgleichen sucht, in dieser Angelegenheit jedoch nicht die einzige.

Die Tagesschau wartet gar zwei Tage nach der umstrittenen Äußerung mit einer „Studie“ des „Disinformation Situation Center“ auf – „Unsere vorläufige Analyse deutet darauf hin, dass eine dekontextualisierte Version von Baerbocks Zitat, eine manipulierte Version ihres Zitats und ein manipuliertes Video ihrer Aussage zuerst auf sozialen Medienkanälen erschienen, die mit dem Kreml verbunden sind.“ Laut dieser Analyse waren die ersten verfälschten Posts bereits eine halbe Stunde nach Ende der Podiumsdiskussion auf russischen Nachrichtenkanälen online. Wenige Minuten danach soll es die verfälschte Version auch in englischer Sprache gegeben haben. Was in Form eines Videos wohl schwierig nachzuvollziehen ist, da Frau Baerbock englisch sprach. Also könnte man hier allenfalls verkürzt haben, was diese unselige Aussage leider auch nicht besser macht.

Das Tüpfelchen auf dem „I“ ist die Bedeutung, die dem Wort „meine“ in allen Erklärungsversuchen zugewiesen wird. Lässt man alle rhetorischen Verrenkungen beiseite, kommt man also zu dem Schluss, dass es nur ihre Wähler sind, die ihr egal sind. Der Stolz mit der diese Erklärung präsentiert wird, lässt mir nur staunend den Kopf schütteln.

Fassen wir an dieser Stelle also zusammen:

1. Man könnte Frau Baerbock die getätigte Aussage zwar ankreiden, das tun aber nur Extremisten und Rechtsradikale und / oder Russlandfreunde.
2. Was sie sagte, war nicht so gemeint.
3. Es handelt sich um eine Disinformationskampagne.
4. Die Welt hat zwar auch ein falsches Zitat online gestellt, das war aber nur ein Versehen.
5. Alle weiteren Institutionen, die das Zitat falsch widergaben, sind böswillig, prorussisch und rechtsradikal gefärbt.
6. Wenn Frau Baerbock die Meinung ihrer Wähler nicht interessiert, dann ist das nicht schlimm. Schlimm wäre es nur, wenn sie die Meinung der gesamten deutschen Wähler nicht interessieren würde!

Egal, wie oft also behauptet wird, dass die Verbreitung des Zitats sinnentstellend und irreführend ist, wer sich das Original ansieht, kann seine eigenen Schlüsse ziehen. In den sozialen Medien kursiert durchaus das gesamte Statement, das Frau Baerbock in der Podiumsdiskussion abgegeben hat. Die verzerrte Darstellung habe ich nur durch die Hinweise unserer Qualitätsmedien gefunden.
Nachrichtenmagazine, Zeitschriften und Journalisten, die ihre Rolle als Hofberichterstatter wohl sehr ernst nehmen. Ihren erzieherischen Auftrag verantwortungsbewusst erfüllen, mit allerlei rhetorischen Kniffen das Publikum, das Volk, die Leser und Zuschauer zu manipulieren wissen. Praktisch gutzuheißen, dass eine Politikerin sich nicht für die Meinung ihrer eigenen Wähler interessiert.
Das mutet ebenso demokratiefeindlich an, wie die Aussage Baerbocks an sich.

Die Krönung aller Beiträge kommt von Jan Knötzsch, Journalist der Mediengruppe Kreiszeitung. Die Kritik an Frau Baerbock sei „mit gespaltener Zunge gesprochen.“ so Knötzsch. Er hat durch die getätigte Aussage umso mehr „Bock auf Baerbock“ betont er mit Begeisterung. Endlich spräche man in der Politik die Wahrheit. „Alles richtig gemacht.“ lobt er die Außenministerin. „Klare Kante gezeigt, wie man sie sich von anderen Politikern nur wünschen kann.“ Dabei scheut er nicht den Vergleich zu Scholz und dem Gemecker und Gemotze der Bürger über dessen Erinnerungslücken in Sachen Cum-Ex. Heißt das im Umkehrschluss, dass Herr Scholz zu seinen Skandalen nur die Wahrheit eingestehen müsse? Hat auch er dann alles richtig gemacht? Herr Knötzsch scheint geradezu hingerissen von der Tatsache, dass Baerbock nur menschlich sei, wenn sie der Ukraine Hilfe zusichert, und dabei das Interesse der deutschen Wähler keine Rolle spielt. Die Kritik an Annalena Baerbock sei schlichtweg falsch. Wichtiger sei es da, das Deutschland die Dinge tut, die von ihm erwartet werden? Und das Deutschland sich in der Welt als „verlässlicher Partner profilieren“ kann. Und in seiner Begeisterung misst der Journalist dem kleinen Wörtchen „meine“ nicht diesselbe Bedeutung zu wie seine „großen Brüder“: „Annalena Baerbock war in Prag mit ihrem „Egal, was die Wähler denken“-Satz nur ehrlich.“ betont er. Demokratie geht anders, Herr Knötzsch. (4)

Aber das sind wohl die Zeichen der Zeit. Meinungsvielfalt unerwünscht – kontroverse Diskussionen verbannt. Zensur durch Privatunternehmen auf der einen Seite.  Auf der anderen Volkspropaganda, finanziert durch Zwangsgebühren. Erzieherischer Auftrag statt objektiver Berichterstattung. Und über all dem thronen Ministeriumsbeauftragte für strategische Kommunikation sowie das Ministerium für Desinformation. (5)

Quellen:
(1) https://www.nordbayern.de/politik/faktencheck-baerbocks-zitat-wird-aus-dem-kontext-gerissen-unglucklich-ist-es-dennoch-1.12487461
(2) https://www.tagesschau.de/faktenfinder/baerbock-zitat-101.html
(3) https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-baerbock-zitat-verfaelscht-und-instrumentalisiert,TGCah1i
(4) https://www.kreiszeitung.de/politik/egal-was-meine-waehler-denken-warum-aussage-mehr-bock-auf-baerbock-macht-91763359.html
(5) http://ministerium-fuer-desinformation.de/ministerium/