Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit ein Mädchen, das in diese Welt geboren wurde. Ein Mädchen, in dessen Ahnenreihe sich Elfen mit Menschen verbanden. Doch für das Wesen der Elfen war längst kein Platz mehr in dieser Welt.
Dennoch blieb den Ahnen diese Geburt nicht verborgen und die Ururururgroßmutter hatte Mitleid mit dem kleinen Wesen und die Sorge, sie könne an der Kaltherzigkeit der Welt zu Grunde gehen. Und so schickte sie durch das Portal, das weder Raum noch Zeit kennt, ihrer kleinen Ururururenkeltochter eine Gabe. Alles, was ihr seelischen Schmerz bereiten würde, solle sie nicht im tiefsten Innersten verletzen, sondern nur Narben auf ihrem Körper hinterlassen. Und so lebte das Mädchen glücklich und wuchs zu einer wunderbaren jungen Frau heran. Ihr Körper wurde mit so mancher Narbe gezeichnet; ihre Seele blieb glücklich und unberührt.

Dann – im Jahr 2020 – kam Corona und mit dieser neuen Erkrankung änderte sich die Welt. Das Mädchen selbst hatte keine Angst vor dieser Krankheit, aber großes Mitgefühl mit allen, die sich ängstigten. Und so versuchte sie zu verstehen, wie groß die Gefahr tatsächlich war, in der Hoffnung, anderen ihre Angst nehmen zu können. Vor dem was dann geschah, hätten sie ihre Ahnen warnen können, denn diese beobachteten das Menschengeschlecht über viele Zeitalter, aber davon wusste die junge Frau nichts und dachte mit Menschenverstand und Mitgefühl könne sie ihren Mitmenschen beistehen.

Weit gefehlt! Als sie versuchte zu erklären, dass die Krankheit zwar schlimm sei, jedoch nicht zu vergleichen mit der Pest oder anderen großen Seuchen der vergangenen Zeit, stieß sie nicht nur auf taube Ohren, sondern wurde von vielen Seiten attackiert. Zum Glück gab es da auch noch Andere. Andere, die – wie sie – nicht daran glaubten, dass es in kürzester Zeit Hunderttausende von Toten geben würde. Sie demonstrierten sogar und wurden täglich mehr. Diese seien aber dumme und böse Menschen, hörte sie. Gefährlich und aggressiv hieß es. Mit ihnen solle man sich nicht gemein machen, wenn sie sich versammeln, um zu protestieren, warnte man allerorts und immerzu.

Aber auch das wollte die junge Frau nicht so ganz glauben. Denn manche Argumente der Kritiker, konnte sie bestätigen. Schließlich hatte sie selbst nach Hinweisen gesucht, um zu verstehen, wie groß die Gefahr eigentlich wäre. Also begab sie sich eines Tages zu einer Versammlung, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie gefährlich diese Kritiker wirklich waren. Sie stieß auf viele freundliche Menschen. Und selbst jene die laut waren und sich empörten, waren nicht aggressiv, sondern forderten Erklärungen für alle Beschränkungen ihrer Freiheit, die ihnen genommen wurde. Doch diejenigen, die die Versammlung stören wollten, gebärdeten sich wild und aggressiv. Und als sie jemand anschrie „Nazis raus“, verstand sie die Welt nicht mehr.

Vergeblich versuchte sie mit den Menschen zu diskutieren; mit Freunden, mit Bekannten und mit ihren Kommilitonen. Doch es war, als würde sie auf unsichtbare Mauern stoßen. Sie wurde verlacht, beschimpft und ausgegrenzt. Noch schlimmer wurde es, als man bekannt gab, dass nur eine neue, gentechnisch basierte Behandlung diese Krankheit besiegen würde. Die junge Frau wusste zwar nichts von den Elfen ihrer Ahnenreihe, doch hatte sie ein unerschütterliches Vertrauen in die Kräfte der Natur und damit auch in die Selbstheilungskräfte ihres Körpers. Der Gedanke jedoch, zu einer Versuchsperson zu werden, für ein neues Medikament, hergestellt mit einer neuen Technologie, jagte ihr Schauer über den Rücken. Die Behandlung aber nannte man Impfung, um so die Akzeptanz unter den Menschen zu erlangen – dabei hatte sie mit einer Impfung, wie man sie bisher kannte, nichts gemein.

Als es die „Impfung“ endlich gab, wurde es sogar noch schlimmer. Jeder, der sich nicht freiwillig dieser Prozedur unterzog, wurde unter Druck gesetzt. Die Gruppe der Kritiker wurde indes nicht kleiner. Viele jedoch folgten dem Ruf, erhielten einen sogenannten „kleinen Pieks“ und waren ab diesem Zeitpunkt gesellschaftlich anerkannt. Diejenigen, die sich dieser Behandlung nicht unterziehen wollten, lebten in schwierigen Zeiten. Wann immer möglich wurde der Druck auf diese Menschen erhöht. Die Beleidigungen nahmen Ausmaße an, wie man sie seit vielen Jahrzehnten  nicht mehr kannte. Man wollte diese Gruppe der Ungehorsamen demütigen, diffamieren und ausgrenzen. Und man tat es auch. Sie durften an dem gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilhaben. Es drohte der Verlust des Arbeitsplatzes und damit die Grundlage der Existenz. Die junge Frau selbst durfte ihr Studium nicht beenden, dem sie sich bereits drei Jahre gewidmet hatte. Asozial und rechtsradikal sei sie und alle, die sich dem Gebot der Impfung nicht unterwerfen wollten. Tyrannen, die unsolidarisch seien! Und die Schuld an der Krise wurde so vom Virus auf diese unverbesserlichen Querköpfe übertragen. Eine völlig neue Form des Rassismus entstand und wurde nicht nur von offizieller Seite erlaubt, sondern von allen Seiten gefördert – ja regelrecht geschürt. Erst als Zweifel an der Sicherheit und an der Wirksamkeit der Behandlung aufkamen, und man feststellen musste, dass die Krankheit sich trotz der Behandlung weiter verbreitete, wurden die Vorwürfe leiser. Der Druck ließ langsam nach.

Nach drei Jahren beruhigte sich die Hysterie und die Beleidigungen wurden weniger; die Forderungen nach einem Zwang zur Impfung verstummten. Nach drei Jahren überlegte die junge Frau, wie es für sie weitergehen würde. Sie durfte wieder tun, was ihr lange verboten war. Doch sie trieb keinen Sport mehr, schwimmen schon gar nicht. Sie bedeckte ihren Körper – bis auf das Gesicht – egal, ob es Sommer oder Winter war. Und wenn sie sich alleine und entblößt vor dem Spiegel betrachtete, gab es keine Stelle ihres Körpers mehr, der nicht vernarbt war.  Mit Tränen in den Augen und voller Mitgefühl dachte sie an jene Menschen, denen all diese Wunden in die Seele geschlagen wurden.