Zunächst einmal stellte ich mir die Frage: Was sind laut Definition des Bundestages eigentlich Verschlusssachen und insbesondere, wann redet man von einer VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH?
Die Antworten sind der Anlage 3 – Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages zu entnehmen (1):
„(2) VS sind Angelegenheiten aller Art, die durch besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen die Kenntnis durch Unbefugte geschützt werden müssen.“
„(5) VS, die nicht unter die Geheimhaltungsgrade streng geheim, geheim oder VS-Vertraulich fallen, aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, erhalten den Geheimhaltungsgrad VS-Nur für den Dienstgebrauch. Protokolle über nichtöffentliche Sitzungen der Ausschüsse (§ 69 Abs. 1 Satz 1 GO-BT) sind grundsätzlich keine Verschlußsachen im Sinne der Geheimschutzordnung des Bundestages (§ 73 GO-BT).“
Das Bundesministerium, BMI, veröffentlichte – wohl versehentlich – das Strategiepapier (2), das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war (1), korrigierte seinen Fauxpas und nahm es sehr schnell wieder von der Website! Doch in der Presse wurde es bereits thematisiert, nicht notwendigerweise kritisch, aber immerhin gab es auch in den sogenannten Qualitätsmedien Ausnahmen, z. B. der Focus kritisiert zumindest in vorgegebenem Rahmen am 11. April. (3). Die FAZ wird sogar noch etwas deutlicher (4)
Dennoch wird das von Seehofer in Auftrag gegebene Gutachten (4) über erfolgreiche Strategien, mittlerweile nicht mehr diskutiert und sollte doch nicht einfach so in Vergessenheit geraten!
Neben der Konstruktion verschiedener Szenarien betont diese Expertise bereits einleitend, die Notwendigkeit, dass Worse Case Szenario in der Kommunikation zu priorisieren! Nur indem man dem Bürger das schlechteste Szenario – im wahrsten Sinne des Wortes – vor Augen führt, kann man den Bürger motivieren, alle erlassenen Verordnungen und Maßnahmen kritiklos hinzunehmen! Das Infragestellen des gesamten Systems wird mit einer „Kernschmelze“ (2) verglichen, die es europaweit zu verhindern gilt!
Die Zusammenfassung der Schlussfolgerungen für Maßnahmen und offene Kommunikation rät unverblümt dazu, den Bürger in Angst und Schrecken zu halten.
- Worse Case Szenario verdeutlichen!
- Weg von der Kommunikation der Fallsterblichkeitsrate, da diese prozentual ausgedrückt, unerheblich (2) erscheint!
- „gewünschte Schockwirkung“ (2) erzielen!
- „Urangst“ ansprechen! „Die Bilder aus Italien sind verstörend.“ (2) [hier geht es immer noch um Strategie!!!]
- Kinder leiden! Sie können das Gefühl haben, Auslöser der Ansteckung innerhalb der Familie zu sein und damit daran schuld sein, das Großeltern „qualvoll“ (2) sterben!
Nur ein kleiner Auszug der verfügbaren Strategien, zu deren Anwendung geraten wird. Das Ganze dann auch noch „offene Kommunikation“ zu nennen, kommt einer sarkastisch-satirischen Inszenierung doch sehr nahe! Wäre die eigentliche Aufgabe nicht eine sachliche Information, die den Ernst der Lage betont? Hier jedoch rät man der Politik dazu, den Bürger mit Angst zum Gehorsam anzuleiten!
Was lesen wir weiter zum Thema „Testkapazitäten?
- „…. Jeglichem Verzicht auf Testen führt jedoch mit Sicherheit zu einer schnelle exponentiellen Verbreitung des Virus.“ …. (2)
- „… Die anzustrebende Testkapazität (hier unter Annahme von gleichzeitigen scharfen Ausgangsbeschränkungen über mehrere Wochen) kann mit Faustregeln ermittelt werden (provisorische Erkenntnisse, müssen verfeinert werden).“ …. (2)
- „…. Wenn die Fallsterblichkeit unter diesem Wert liegt, muss davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der Toten nicht richtig gezählt wird.“ …. (2)
- „…. Sobald die geschätzte nötige Testkapazität erreicht ist, wird die Anzahl neu gefundener Fälle pro Tag zunächst hochschnellen. Wenn die Schätzung richtig war, kommt sie nach der Zeitspanne (z.B. nach 10 Tagen) wieder herunter. Wenn nicht, war die nötige Testkapazität unterschätzt und muss dringend hinaufgeschraubt werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.“ (2)
Ich bin Laie auf dem Gebiet der Tests, dennoch erweckt diese Analyse bei mir den Eindruck, dass man an der Menge der eingesetzten Tests solange justiert, bis sie das gewünschte Ergebnis erzeugt haben.
In der kleinen Anfrage vom 24. April 2020 (Drucksache 19/19459) äußerte sich die Regierung wie folgt:
„Neben den fortlaufend weiterentwickelten Lagebildern sowie zahlreichen Berichten und Auswertungen floss auch das Szenarienpapier in die Diskussion über den weiteren Umgang mit der Corona-Epidemie ein.“ (5)
Im Frühling 2020 konnte die Regierung noch behaupten, dass dieses Papier nur eine von vielen Analysen darstellt. Rückblickend lässt sich allerdings feststellen, dass alle Narrative, die in dieser Analyse erdacht wurden, bereits etabliert sind!
„Die gegenwärtige Krise durch COVID-19 hat das Potential das Vertrauen in die demokratischen Institutionen in Deutschland nachhaltig zu erschüttern. Dem kann und muss entgegengewirkt werden.“ (2) wird außerdem klargestellt!
Obwohl bzw. WEIL der Regierung durchaus seit spätestens 22. März bekannt ist, dass die Lage nachvollziehbar kritische Stimmen hervorrufen wird, wurde erfolgreich eine gesellschaftliche Kampagne gegen die „Verteidiger der Demokratie“ gestartet. Parolen wie „Vertrauen Sie nur den offiziellen Quellen“ und die Herabsetzung von Kritikern, sowie eine gut abgestimmte Propaganda beschallt uns seit Monaten!
Die FAZ berichtet weiter „In der Kommunikation gibt es noch Eskalationsmöglichkeiten, um die Gefahr für die Menschen deutlich zu machen – das Papier macht hier konkrete Vorschläge. Aber die Bundesregierung will nicht nur auf die Angst der Menschen setzen. Im Bundesinnenministerium denkt man daher über eine neue Erzählung nach. Die Frage: Welche Gesellschaft wollen wir sein? Eine Gesellschaft, die die Alten und Schwachen schützt – oder eine, in der nur die Stärksten überleben?“ (4)
Man will also NICHT NUR auf die Angst der Menschen setzen? Die Angst vor der so benannten „Kernschmelze“ (2) ist in der Politik so groß, dass heute noch ein Gesetzesentwurf zur Entscheidung steht, der die Grundrechte unserer Gesellschaft ganz erheblich einschränken wird. Demokratie ade!
Ergänzend:
Obwohl es in der Antwort der Bundesregierung (Drucksache 19/19459) heißt: „Nach der Veröffentlichung des Szenarienpapiers durch einzelne Webseiten wurde die Einstufung als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ aufgehoben“ (5) ist es leider nach wie vor nicht mehr auf der Seite des BMI zu finden!
QUELLEN
(1) https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/anlage3-245182
(2) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/
(3) https://www.focus.de/politik/deutschland/aus-dem-innenministerium-wie-sag-ichs-den-leuten-internes-papier-empfiehlt-den-deutschen-angst-zu-machen_id_11851227.html
(4) https://zeitung.faz.net//faz/politik/2020-04-02/f8e7cfb89e5590d367435a9fa8a0a702/
(5) https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/194/1919459.pdf
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